Ryan sorgt für Spektakel

Matt Ryan pic

Rekordsaison: Falcons-Quarterback Matt Ryan, Bild: Screen shot USA Today

National Football League – Atlantas Quarterback Matt Ryan dirigiert diese Saison eine historisch gute Falcons-Offensive. Neben der Auszeichnung als wertvollster Spieler könnte der Einzug in den Super Bowl folgen. 

Von Livio Brandenberg

Wenn die Atlanta Falcons heute Nacht im heimischen altehrwürdigen Georgia Dome gegen die Green Bay Packers auflaufen, dürften früher oder später «MVP»-Rufe von den ausverkauften Rängen hallen. Sie gelten Matt Ryan, seit acht Jahren der Quarterback der Falcons und heissester Kandidat für die Auszeichnung des wertvollsten Spielers – des «Most Valuable Player».

Der 31-Jährige aus Exton in der Nähe von Philadelphia setzte diese Saison Rekord um Rekord, sein Team spielte seit dem ersten Match im September spektakulären Football, vor allem offensiv: Die Falcons erzielten fast 11 Punkte mehr pro Spiel als der Ligadurchschnitt, sie hatten die meisten Touchdowns und überrollten ihre Gegner regelrecht, Woche für Woche.

Stats Matt Ryant

«Ausstrahlung eines Aushilfslehrers»

Angeführt wurde dieses Spektakel eben von diesem brav, fast bubenhaft wirkenden Matt Ryan. Er habe die Ausstrahlung eines Aushilfslehrers, schrieb ein Kolumnist vor ein paar Jahren. Er sei blass und langweilig, monierten andere. Neben dem Feld mögen diese Aussagen eine gewisse Berechtigung haben: Ryan wuchs gut betucht auf, ging auf eine katholische Privatschule, dann auf das renommierte Boston College, blieb skandalfrei und ist seit 2011 glücklich mit seiner College-Liebe verheiratet. Als wäre das nicht genug, so wird erzählt, soll er es auf einem Jagdausflug nicht übers Herz gebracht haben, einen Hirsch zu erlegen.

Dass die Fans in Atlanta Ryan für diese Eigenschaften lieben, ist nachvollziehbar. Denn sein Vorgänger war Michael Vick. Vick war ein real gewordenes Videospiel, ein Highlight-Zusammenschnitt in Endlosschlaufe, ein Football-Rockstar. Doch Vick blieb nicht auf dem Boden und versetzte der ganzen Region einen Schock, als er 2007 wegen der Organisation von illegalen Hundekämpfen festgenommen und zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurde.

Ryan als abgehender College-Musterschüler personifizierte das pure Gegenteil und brachte sogleich Ruhe in den angeschlagenen Klub. In Atlanta verehren sie ihn aber nicht nur deswegen. Denn auf dem Feld agiert der 1,93 Meter grosse Spielmacher alles andere als langweilig. Gleich sein erster Wurf bei den Profis war ein Touchdown. Von Beginn an hatte Ryan seine Aufgabe im Griff: Bis zu 100 Spielzüge – inklusive Varianten – muss er pro Match im Kopf haben und, je nach Aufstellung der Defensive, anwenden. Der Neuling führte seine Falcons in seiner ersten Saison in die Playoffs. Und es dauerte nicht lange, und sein Trikot mit der Nummer 2 war heiss begehrt.

Spiele bei Halbzeit oft schon entschieden

Dass Ryan nun mit grosser Wahrscheinlichkeit zum ersten Mal die MVP-Trophäe erhalten wird – die Wahl ist Anfang Februar –, ist umso beeindruckender, als neben ihm auch die Superstar-Quarterbacks Aaron Rodgers und Tom Brady überragende Saisons ablieferten. Doch Ryan war der Konstanteste von allen. Rodgers hatte eine Baisse Anfang Saison, Brady war die ersten vier Spiele wegen eines Ball-Manipulationsskandals gesperrt. Ryan aber zog durch. Woche für Woche gab er den Takt für seine Mannschaft vor, zur Halbzeit war das Skore oft schon eindeutig.

Das war die letzten drei Jahre ganz anders. Der Erstrundenpick von 2008 schaffte es in den vergangenen Spielzeiten nicht, sein Team in die Playoffs zu führen. Vor zwei Jahren entliessen die Falcons den langjährigen Head Coach Mike Smith. Mit dem Wechsel zu Dan Quinn kam auch der neue Offensivchef Kyle Shanahan. Im ersten Jahr unter Shanahan musste Ryan ein komplett neues Offensivsystem lernen, die Anfangsschwierigkeiten waren unübersehbar. Der sonst so souveräne Spielmacher wirkte plötzlich blockiert.

Doch dieses Jahr «klickte» alles bei Ryan und den Falcons. Dies verdankt er auf der einen Seite Shanahan, der, kaum älter als Ryan, als Offensiv-Genie gilt, und auf der anderen seinem eigenen Antrieb: Der passionierte Hobby-Golfer suchte im Sommer die Football-Gurus Tom House und Adam Dedeaux in Beverly Hills auf, wo er sechs Wochen vor allem an seiner Wurftechnik feilte. «Ich bin stur und wollte immer meinen eigenen Weg gehen. Doch ich habe erkannt, dass mein Weg nicht immer der beste ist», sagte Ryan im Herbst.

Seither wirkt der Quarterback, der in seiner Jugend auch ein herausragender Baseballer war, wie befreit. Sein Geheimnis: «Anstatt alle möglichen Aufstellungen der Verteidigung im Kopf durchzuspielen und mir dadurch im Weg zu stehen, suche ich einfach nach Lücken», erklärte Ryan seine neue Strategie – und wurde dafür von vielen belächelt.

Wenn die Atlanta Falcons am Sonntagabend in den Conference Finals um den Einzug in den Super Bowl kämpfen, dürften nur noch wenige lachen – ausser den Fans in Atlanta.


Video: Youtube/FOX Sports


Update (23. Januar 2017):

Die Atlanta Falcons überranten in den Conference Finals die Green Bay Packers mit 44 zu 21. Ryan warf vier Touchdown-Pässe, rannte für einen weiteren und führte sein Team diskussionslos in den Super Bowl (5. Februar 2017 in Houston)

Die Highlights des Spiels finden Sie hier.