Lokführer fordert mehr Präsenz in den Zügen

SBB Transportpolizei bearbeitet

Polizisten der SBB-Transportpolizei auf Patrouille, Bild: Screen shot NLZ

Sicherheit – Die Attacke von Salez entfacht eine Diskussion um die Sicherheit in den Zügen. Jetzt meldet sich ein SBB-Insider zu Wort. Und kritisiert die heutige Situation scharf.

Von Livio Brandenberg

Nach der tödlichen Attacke auf Passagiere am vergangenen Samstag in einem Zug der Südostbahn bei Salez im St. Galler Rheintal fordern Bahnexperten und Politiker schärfere Sicherheitskontrollen in allen Schweizer Zügen. So sagte der Präsident des Lokomotivpersonalverbands LPV-SEV, Hans-Ruedi Schürch, zu verschiedenen Medien, es brauche wieder «in jedem Zug einen Zugbegleiter». Gefordert wird aber auch von verschiedenen Seiten eine Aufstockung der Bahnpolizei. Und laut SP-Nationalrätin Chantal Galladé könnte die Sicherheit erhöht werden, indem die kantonalen Polizeikorps mehr Polizisten einstellen. Diese sollen dann an Bahnhöfen für mehr Präsenz sorgen.

Oftmals nur ein Kontrollgang?

Von all diesen Forderungen hält ein langjähriger SBB-Lokführer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, nicht viel. Es sei schlicht nicht realistisch, dass in jedem Zug eine Begleitperson – geschweige denn ein Polizeibegleiter – mitfahre. Dazu fehle das Personal und das Geld. Die aktuelle Situation in den Schweizer Zügen kritisiert der Insider aber harsch. So würden Zugbegleiter, also Billettkontrolleure und -kontrolleurinnen, regelmässig nur einen Gang durch den Zug absolvieren, um sich dann zurückzuziehen.

Das Gleiche gelte für Beamte der SBB-Transportpolizei: Nach einem Kontrollgang würden sich diese oftmals in der 1. Klasse niederlassen und sich beispielsweise ihren Handys widmen, so der Lokführer. Er sieht darum eine relativ einfache Möglichkeit, die Sicherheit in den Zügen zu erhöhen: «Diejenigen Leute, die im Dienst sind, sollten in den Waggons mehr zirkulieren, mehr Präsenz markieren und sich nicht längere Zeit an einem Ort aufhalten.»

SBB weisen Kritik zurück

Die Kritik, dass Beamte der Transportpolizei zu wenig aktiv seien, weist SBB-Sprecher Reto Schärli zurück: «Dies ist ein absurder anonymer Vorwurf, der jeder Grundlage entbehrt. Auch Transportpolizisten kommunizieren im Job via Handy. Bei Dienstpausen oder nach Dienstende dürfen sie selbstverständ­-lich in einem Abteil Platz nehmen.» Lokomotivpersonalverbandspräsident Schürch äussert sich ähnlich: «Dafür, dass sich diese Beamten länger am selben Ort im Zug aufhalten, gibt es wohl verschiedene Gründe, beispielsweise, um eine Gruppe von Personen im Auge zu behalten.»

Der Bahninsider, der die heutige Situation kritisiert, bleibt bei seiner Einschätzung. Es sei auch der Tenor unter zahlreichen Kollegen, dass die Bahnpolizisten vielfach mehr Präsenz markieren könnten.

________________________________________
Mann greift in Zermatt Zugbegleiterin an
In einem Regionalzug der Matterhorn-Gotthard-Bahn hat ein 20-jähriger Mann kurz nach der Ausfahrt aus dem Bahnhof Zermatt die Notbremse gezogen und dann eine Zugbegleiterin niedergeschlagen. Danach zertrümmerte der Täter mit dem Nothammer eine Scheibe und flüchtete zu Fuss durch das Fenster, wie der «Walliser Bote» gestern berichtet. Der Angriff ereignete sich laut der Zeitung bereits am Montagmorgen. Ein Sprecher der Matterhorn-Gotthard-Bahn bestätigte den Bericht. Die Kontrolleurin habe nachschauen wollen, wer die Notbremse gezogen hatte, als der Mann sie sofort und ohne Grund mit Faustschlägen angriff. Die Zugbegleiterin habe leichte Verletzungen davongetragen, es gehe ihr aber den Umständen entsprechend gut. Der Täter, ein Schweizer, wurde gefasst. Er sei geistig verwirrt.
________________________________________

Der Lokführer betont, er mache seine Arbeit gerne, es gehe ihm einzig darum, Mängel aufzuzeigen. So kritisiert er neben der Kontrollfrequenz des Zugpersonals auch den Einsatzplan: Wenngleich Notsituationen selbstverständlich jederzeit entstehen könnten, seien es vor allem die Wochenenden, an denen die Lage schnell eskaliere. Von Donnerstagabend bis und mit Samstagnacht sei eine starke Polizeipräsenz und eine hohe Bereitschaft nötig. «Meines Erachtens macht es hingegen wenig Sinn, am Sonntagnachmittag Wanderer und Familien mit Kinderwagen zu kontrollieren», sagt der Lokführer.

SBB Transportpolizei screen shot bearbeitet

Bild: Screen shot SBB

Einen weiteren Mangel macht der Branchenkenner bei der Videoüberwachung aus: «Was viele Leute nicht wissen: Obwohl die SBB in der ganzen Schweiz über 8000 Kameras installiert haben, ist zurzeit in keinem einzigen Fernverkehrszug eine solche eingebaut», so der Lokführer. Eine Videoüberwachung gibt es nur in den Regionalzügen und S-Bahnen. Neue Züge bestellen die SBB jedoch nur noch mit integrierter Videoüberwachung, wie Sprecher Schärli sagt.

Keine Bilder in der Führerkabine

Doch auch in den Regionalzügen, wo gefilmt wird, werden keine Bilder in die Lokführerkabine übertragen. Auch dies bemängelt der Bahninsider. So sehe er nicht, was in «seinem» Zug vor sich gehe und könne nicht entsprechend eingreifen. Er empfiehlt deshalb, dass sich alle Zugreisenden vergewissern, wo Feuerlöscher montiert sind und wo sich Notrufknöpfe befinden. Wenn man diese drückt, wird eine Sprechverbindung mit Live-Übertragung aus dem Zug (Bild und Ton) zur Einsatzzentrale der Bahnpolizei aufgebaut. Im Normalzustand machen die Kameras alle paar Sekunden ein Bild, welches zwar gespeichert, jedoch nicht direkt übertragen wird. Dieses System sei sinnvoll und man könne damit schnell genug reagieren, sagt SBB-Sprecher Schärli. Sobald bei der Zentrale ein Notruf eingehe, werde sofort eine ­Patrouille aufgeboten. ■

(Dieser Artikel ist in leicht anderer Form erschienen am 18. August 2016 in der «Neuen Luzerner Zeitung».)