Feindbild der radikalen Islamisten

Saida Keller-Messahli

Saïda Keller-Messahli, Bild: Screen shot SRF

Saïda Keller-Messahli – Sie ist die bekannteste und pointierteste Islamismus-Kritikerin der Schweiz. Was treibt die Frau an, die regelmässig Morddrohungen erhält?

Von Livio Brandenberg

Sie verspätet sich um drei, vier Minuten, bei der Begrüssung entschuldigt sich Saïda Keller-Messahli sogleich dafür. Das Tessiner Fernsehen wollte noch eine Stellungnahme zum Burkaverbot. Ein solches forderte am gleichen Tag Mitte letzter Woche der Zürcher SP-Regierungsrat Mario Fehr in einem NZZ-Interview. Man braucht die Präsidentin des Forums für einen fortschrittlichen Islam gar nicht zu fragen, sie findet das «eine tolle Sache». Und schon ist das Gespräch bei Keller-Messahlis Kernkompetenz angelangt: der Toleranz gegenüber islamistischen Verhaltensweisen in der Schweiz und der Intoleranz des radikalen Islams gegenüber Andersdenkenden.

«Völlig ungebildete Männer»

«Wollen wir uns ein wenig in die Sonne setzen?», fragt Keller-Messahli in breitem Berner Dialekt und zeigt auf ein Café mit Tischen im Freien. Es ist bloss eine Zwischenfrage, denn das Gespräch ist von Beginn an angeregt, aber locker. Durch ihre Offenheit wirkt die 59-Jährige schnell wie eine Person, die man schon lange kennt.

Die höfliche Art steht im Kontrast zur Deutlichkeit von Keller-Messahlis Aussagen zum radikalen Islam. Das tönt dann so: «Die Burka gibt es nicht im Islam. Sie hat keine religiöse Grundlage, sondern ist eine Erfindung des politischen Islam.» Erfunden hätten sie die Taliban, um Frauen aus dem Bild der Öffentlichkeit verschwinden zu lassen. «Könnte man Frauen unsichtbar machen, die islamistischen Männer würden es tun.» Den Burkini, also den Ganzkörper-Schwimmanzug, nennt sie einen «Kampfanzug». Und die extremistischen Imame und «Gelehrten» (Keller-Messahli zeichnet mit ihren Fingern Anführungszeichen in die Luft) seien «alte oder rückwärtsgerichtete, aber völlig ungebildete Männer», die «schlimm aussehen mit ihren langen Bärten». Auch die Gesichtsbehaarung sei ein offensives und im gemässigten Islam nicht existierendes Abgrenzungsmerkmal der Salafisten, das mit dem islamischen Glauben nichts zu tun habe.

Falsche Toleranz in der Schweiz

Es sind Aussagen wie diese, die die hierzulande bekannteste Kritikerin des radikalen Islam zu einem häufigen Ziel von Angriffen machen. Beschimpfungen auf Facebook oder per Mail erträgt Keller-Messahli inzwischen einigermassen gelassen, sie erscheinen praktisch täglich auf ihrem Bildschirm. Morddrohungen erhalte sie auch regelmässig. Sie meldet alle der Polizei. Angst habe sie zwar nicht, doch daran gewöhnen könne man sich auch nicht. «Man erträgt es einfach, es gehört schlicht dazu», sagt die gebürtige Tunesierin, die seit bald 40 Jahren in der Schweiz lebt.

Doch was treibt die Frau an, die hierzulande als nimmermüde Warnerin vor dem radikalen Islam fast täglich in ein Mikrofon, eine Kamera spricht oder selber Artikel für Zeitungen schreibt? Es ist eine Art «innerer» Auftrag, sagt sie; die fortschrittliche und freiheitliche Welt sei in Gefahr: «Die Islamisten sind schon lange daran, sich und ihre verquere Ideologie in den westlichen Ländern, auch in der Schweiz, zu installieren.» Sie hätten das Ziel, der liberal und demokratisch denkenden Gesellschaft schleichend unfreiheitliche Regeln – etwa die Verschleierung der Frau oder die Verweigerung eines Händedrucks – aufzuzwingen. «Es wäre das Falscheste, einfach zuzuschauen oder sogar von Religionsfreiheit zu sprechen.» Diese Regeln seien erfunden oder «hinzuinterpretiert» worden, um Frauen oder Menschen anderen Glaubens herabzustufen. Nirgends im Koran stehe, dass ein gläubiger Muslim solche Verhaltensweisen an den Tag legen müsse.

Keller-Messahli spricht darum von einer «falschen Toleranz» von Seiten vieler Personen und Behörden in der Schweiz. Dank der Aufklärung habe man hier grossartige Freiheiten. Jeder könne sein Leben so gestalten, wie er möchte, und glauben, was er möchte. Diese Toleranz gelte es durch alles hindurch zu schützen. Denn «diese Leute sind hervorragend organisiert, die schlafen nicht». Sie habe immer noch das Gefühl, dass man die Verantwortlichen und weite Teile der Gesellschaft in der Schweiz aufwecken müsse. Das sei zu ihrer Aufgabe geworden. Aus diesem Grund habe sie vor zwölf Jahren das Forum für einen fortschrittlichen Islam gegründet.

Aufgewachsen in Grindelwald

Als Saïda Keller-Messahli das erste Mal in die Schweiz kam, gab es hier noch keinen radikalen Islam. Das war im Jahr 1964, sie war siebenjährig und war über eine Hilfsorganisation zu einem Ehepaar in Grindelwald gekommen. Ihr Vater war Bauer nahe der tunesischen Hauptstadt Tunis. Als er mit 44 Jahren erblindete, wurde die finanzielle Lage der Familie prekär. Doch dank dem guten Verhältnis des Vaters zu einem französischen Grossgrundbesitzer besuchten alle acht Kinder der Messahlis eine französische Nonnenschule. Via diese Schule gelangte Saïda im Rahmen eines Ferienaufenthaltes in die Schweiz. Das protestantische Ehepaar aus Grindelwald war von dem Mädchen so angetan, dass es bei der Nonnenschule anfragte, ob es das Mädchen nicht dauerhaft aufnehmen dürfte. Saïda wurde wieder zurückgeschickt und verbrachte fünf Jahre in den Bergen, bis sich das Ehepaar scheiden liess.

Für die Ehe gekämpft

Zurück in Tunesien, war für Saïda Keller-Messahli klar: Sie wollte wieder in die Schweiz, um zu studieren. Nach der Maturität, die sie in Tunis absolvierte, arbeitete die junge Frau zwei Jahre als Flugbegleiterin bei der saudi-arabischen Airline. Mit dem verdienten Geld kam sie nach Zürich und studierte französische und englische Literatur und Filmwissenschaft. 1982 verliebte sie sich in einen Schweizer, einen Protestanten. Er wurde ihr Ehemann, mit dem sie zwei Söhne hat und zusammenlebte, bis er vor zehn Jahren verstarb.

Damals seien die Widerstände bei der Heirat einer Muslimin mit einem Nichtmuslim bei den tunesischen Behörden gross gewesen. Sie habe kämpfen müssen, um ihn heiraten zu können, ohne dass ihr Mann seinen Glauben wechseln musste. «Das hätte ich nie zugelassen», sagt Keller-Messahli. ■

(Dieser Artikel ist in leicht anderer Form erschienen am 19. August 2016 in der «Neuen Luzerner Zeitung».)