Bringt «Rio 2016» mehr Firmenpleiten in Brasilien?

Rio 2016

Die Olympische Stadt Rio de Janeiro wird laut Experten keinen wirtschaftlichen Nutzen davontragen, Bild: Flickr/Brian Godfrey

Krise – Seit drei Tagen kämpfen Tausende Athleten aus der ganzen Welt an den Olympischen Spielen in Rio um Medaillen. Für Brasilien gibt es mit den «Spielen» jedoch nicht viel zu gewinnen. Das Gastgeberland wird – erneut – durch eine wirtschaftliche und politische Krise gelähmt.

Von Livio Brandenberg

Bereits vor Beginn der Olympischen Sommerspiele in Rio war klar: Dieses Mal ist es anders. Anders als noch vor zwei Jahren, als die Fussball-Weltmeisterschaft in Brasilien stattfand. Damals: Euphorie mit Nebengeräuschen (es gab vor allem Kritik am Vorgehen der Polizei, die in den Favelas rigoros aufräumte, sowie an den als übertrieben erachteten Prunkbauten). Heute: Lauter Protest, kaum Euphorie. Die «Zentralschweiz am Sonntag» wie auch das deutsche Nachrichtenmagazin «Stern.de» schreiben von einer «Katerstimmung» im Land des Samba angesichts der aktuellen und akuten Polit- und Wirtschaftskrise.

In der Tat: Das grösste Land Südamerikas ist seit knapp zwei Jahren im Krisenmodus. Das Vertrauen in die Politik ist laut jüngsten Umfragen auf einem Tiefststand, die Wirtschaft wächst nicht (mehr), Millionen sind arbeitslos und die sozialistische Präsidentin Dilma Rousseff (68) wurde im Mai dieses Jahres suspendiert im Zusammenhang mit einem Korruptionsskandal im Umfeld des halbstaatlichen Rohstoffkonzerns Petrobras. Rousseff selbst konnte zwar keine Korruption vorgeworfen werden. Der Vorwurf an sie – und damit der Grund für ihre Amtsenthebung – lautet «kreative Haushaltsführung zur Vertuschung des Staatsdefizits». Ob Rousseff Präsidentin bleibt oder des Amts enthoben wird, entscheidet in letzter Instanz Mitte August, kurz nach dem Ende der Olympischen Spiele, das Parlament.

Koalition aufgekündigt

Bereits im März hat der Koalitionspartner von Rousseffs sozialistischer Partido dos Trabalhadores (PT), die rechtsliberale Partido do Movimento Democrático Brasileiro (PMDB), die Regierungskoalition aufgelöst. Für die Regierung kam dies im brasilianischen Kongress, mit über 30 Parteien völlig zersplittert, einem Todesstoss für die Regierung gleich. Und löste eine Blockade zwischen Regierung und Parlament aus, die das Land seither zusätzlich lähmt.

Denn bereits seit Anfang Jahr sinken die Rohstoffpreise; Brasilien bekam dies hart zu spüren und rutschte in die tiefste Rezession seit 1990. Die aktuellen Wirtschaftsdaten lassen kaum auf rasche Besserung hoffen. Innerhalb eines Jahres sind die monatlichen Durchschnittslöhne drastisch gefallen (–7,5 Prozent). Die Arbeitslosigkeit ist auf etwa 10 Prozent angestiegen, Wirtschaftsexperten rechnen mit einer weiteren Zunahme der Arbeitslosenzahl. Die brasilianische Wirtschaft werde in diesem Jahr nochmals schrumpfen, so die Prognosen.

Bringen die Olympischen Spiele einen Aufschwung?

Kommt denn ein Grossanlass wie «Rio 2016» nicht gerade gelegen – neue Jobs, der Tourismus zieht an, Zulieferbetriebe können profitieren, so könnte man annehmen. Laut einer Studie des international tätigen Kreditversicherers Euler Hermes ist das falsch gedacht. Die Olympischen Spiele würden der Stadt, der Region und dem Land Brasilien keinen wirtschaftlichen Nutzen bringen, so das Fazit der Autoren. «‹Rio 2016› ist für die Brasilianer ein wirtschaftlicher Fehlstart», heisst es in der Untersuchung von Anfang August.

Brazil Insovlenzen

Die Firmenpleiten in Brasilien dürften weiter zunehmen, Grafik: Euler Hermes

Einseitige Geschäftsmodelle

Die Autoren gehen sogar noch weiter: Der Riesenanlass verursache zusätzliche Firmenpleiten. Denn im Vorfeld der Spiele seien viele Klein- und Kleinstunternehmen gegründet worden, vor allem im Bau- und im Tourismusgewerbe (Hotel, Gastronomie, Transport, Kommunikation, Freizeit, Lebensmittel). Weil aber laut den Studienverfassern die Mietkosten in Rio hoch sind und weil diese Betriebe meistens äusserst einseitige Geschäftsmodelle haben, gehören sie zu den ersten, denen nach dem Grossevent die Puste ausgeht. Die Experten rechnen in Rio mit 5 Prozent mehr Pleiten im Allgemeinen; bei den Kleinunternehmen sogar mit einer Zunahme von 12 Prozent.

In Brasilien sieht es gemäss Euler Hermes noch düsterer aus: Die schlechte Zahlungsmoral und die Rezession liessen die Insolvenzen dieses Jahr im ganzen Land um 22 Prozent steigen (siehe Grafik oben).

Arbeitslosigkeit steigt weiter an

Auch bezüglich des brasilianischen Wirtschaftswachstums sind die Studienautoren pessimistisch. Bereits die Fussball-Weltmeisterschaft 2014 habe keinen nachhaltigen Effekt auf das Wachstum gehabt. Der Konsum und die Investitionen im Rahmen der Sommerspiele hätten zwar «einen leicht positiven Effekt auf das Wirtschaftswachstum, aber dies reicht bei Weitem nicht aus, um die tiefe Rezession in Brasilien auszugleichen», schliessen die Autoren.

Dazu komme für die Stadt Rio und die Region eine zusätzliche öffentliche Verschuldung. Im Staat Rio de Janeiro steige die Verschuldung dieses Jahr um 17 Prozent an, was dem Doppelten der Steuereinnahmen entspreche.

Brazil Unemployment

Die Arbeitslosenquote in Brasilien steigt laut Prognosen weiter an, Grafik: Euler Hermes

Die Auswirkungen von «Rio» auf den Arbeitsmarkt schätzt die Studie als vernachlässigbar ein. Die Spiele schafften rund 120 000 neue Arbeitsplätze. Das sei «ein Tropfen auf den heissen Stein» angesichts der etwa 100 Millionen Arbeitskräfte in ganz Brasilien. Zudem würden über 80 Prozent der Jobs, die durch die Olympischen Spiele entstanden sind, nicht bestehen bleiben und könnten der steigenden Arbeitslosigkeit nichts entgegensetzen. Euler Hermes rechnet dieses Jahr mit einem Anstieg der Arbeitslosenquote auf 11 Prozent, im Jahr 2017 sogar mit einer Quote von 12,8 Prozent. ■