Gab es doch keinen Deal mit der PLO?

Bilder PLO

Jean Ziegler, Pierre Graber, Marcel Gyr (v. l.), Bilder: Flickr, admin.ch, LinkedIn

Geheimabkommen – Von Pissoir-Gesprächen, Handschlägen in Hotelzimmern und Codenamen für Bundesräte. Doch laut einem Bericht hat der Bundesrat in den 70er-Jahren nicht mit Terroristen verhandelt.

Von Livio Brandenberg

Mit Spannung ist das Ergebnis erwartet worden, nun ist es da: Die Schweiz hat in den 70er-Jahren offiziell nicht mit Terroristen verhandelt. Das besagt zumindest der diese Woche veröffentlichte Bericht der vom Bundesrat eingesetzten Arbeitsgruppe.

Diese untersuchte die These des NZZ-Journalisten Marcel Gyr, der in seinem Buch «Schweizer Terrorjahre» schreibt, der damalige SP-Bundesrat Pierre Graber habe 1970 – ohne Absprache mit seinen Bundesratskollegen – mit einem ranghohen Vertreter der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ein geheimes Stillhalteabkommen geschlossen: Gegen die Zusicherung, dass auf die Schweiz und die Swissair keine weiteren Attentate verübt werden, versprach die Schweiz der PLO, sie bei der UNO in Genf in ihrem Bemühen um diplomatische Anerkennung zu unterstützen. Hintergrund und Auslöser waren eine Reihe von Flugzeugentführungen und der Absturz einer Swissair-Maschine im aargauischen Würenlingen infolge eines Bombenanschlags.

Im Untersuchungsbericht heisst es nun wörtlich: «Nirgendwo findet sich ein Hinweis auf ein im September 1970 abgeschlossenes geheimes Abkommen.» Die Arbeitsgruppe, zusammengesetzt aus Vertretern verschiedener Departemente, des Bundesarchivs sowie der Bundesanwaltschaft, hatte Zugang zu allen Dossiers, die sie einsehen wollte. Ihre Recherchen stützte sie ausserdem auf Fichen der Bundespolizei und auf Unterlagen aus dem Privatbestand von alt Bundesrat Graber.

Gespräche im lauten Zwischenteil zwischen zwei Waggons

Für Marcel Gyr ist der Bericht «auf den ersten Blick ernüchternd», wie er auf Anfrage sagt. «Es wurde zwar enorm viel Aufwand betrieben, man hat das ganze Archiv auf den Kopf gestellt, Zeitzeugen hat die Arbeitsgruppe jedoch keine befragt. Das hätte sie tun sollen», sagt Gyr. So hätte man etwa ehemalige Stabsmitarbeiter Grabers oder Jean Ziegler persönlich befragen können, so Gyr.

Der langjährige SP-Nationalrat und emeritierte Soziologieprofessor Jean Ziegler bestätigte gegenüber Gyr, in der Angelegenheit als Schlüsselfigur gewirkt zu haben. Er habe damals den Kontakt zwischen der PLO, die international als terroristische Organisation geächtet war, und Pierre Graber hergestellt. Mit ihm hatte Ziegler jahrelang in derselben Fraktion gesessen. Die Beziehungen zur PLO entstanden auf andere Weise: Unter anderem wegen der Kochkünste seiner ägyptischen Frau seien damals zahlreiche palästinensische Diplomaten bei ihm zu Hause ein und aus gegangen, so Ziegler.

«Der Bericht ist auf den ersten Blick ernüchternd. Die Arbeitsgruppe hat keine Zeitzeugen persönlich befragt. Das hätte sie tun sollen.»
– Marcel Gyr, NZZ-Journalist und Autor des Buchs «Schweizer Terrorjahre».

Wie Ziegler Gyr weiter erzählte, hat Bundesrat Graber ihn auf einem Pissoir im Bundeshaus angesprochen und gefragt, ob er informelle Kontakte herstellen könne zu palästinensischen Exponenten. Er habe sich danach jeweils in den windigen und lauten Zwischenteilen zwischen zwei Zugwaggons mit Graber getroffen. Die beiden befürchteten, vom israelischen Geheimdienst Mossad abgehört zu werden. Auch im Berner Marzilibähnli hätten Treffen stattgefunden, sagte Ziegler.

Die geheimen Gespräche mit PLO-Vertretern – darunter die langjährige Nummer zwei hinter Jasser Arafat, Farouk Kaddoumi – fanden laut Gyr in einem Hotelzimmer in Genf statt. Beschlossen worden sei das Stillhalteabkommen nach mehrtägigen Verhandlungen per Handschlag. In den Interaktionen zwischen den Palästinensern und den Schweizern sei Grabers Codename «Grand-mère» gewesen.

Quelle: Youtube/Schweizer Radio und Fernsehen

Ein «arrangement discret»?

Zurück zum Bericht der Arbeitsgruppe: Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Geheimabkommen kaum dokumentiert wird. Aus diesem Grund sei er auch davon ausgegangen, dass die Arbeitsgruppe im Archiv nichts fände, sagt Marcel Gyr. Er hält an seiner These fest.

Ein weiteres Indiz dafür publizierte gestern die NZZ: Ein Dokument des Berichts zeige, dass ein Mitglied der Aufsichtsbehörde über die Bundesanwaltschaft bei den Abklärungen in den Ausstand trat. Der Vater des Mannes war mit Pierre Gräber in La Chaux-de-Fonds zur Schule gegangen und mit dem Bundesrat befreundet geblieben. Der Mann gab detailliert zu Protokoll, wie er, auf einem Liegestuhl liegend, Gespräche zwischen Graber und seinem Vater im Garten seines Elternhauses belauscht habe, in denen der Bundesrat nach Kontakten zu palästinensischen Führern fragte. Dabei habe Graber ein «arrangement discret» erwähnt.

Die Geschäftsprüfungskommission der eidgenössischen Räte (GPK) nimmt den Bericht nun entgegen und entscheidet über das weitere Vorgehen. Laut Marcel Gyr ist es durchaus möglich, dass die GPK noch «nachputzt» und doch noch Zeitzeugen persönlich befragt. ■

(Dieser Artikel ist in leicht anderer Form erschienen am 12. Mai 2016 in der «Neuen Luzerner Zeitung» und im «St. Galler Tagblatt».)