Showdown beim NFL-Draft – Welcher Quarterback wird zuerst gewählt?


Quelle: Youtube/Elite Sports Highlights

American Football – Heute Nacht steigt der NFL-Draft in Chicago, wo die besten College-Spieler in die höchste Footballliga berufen werden. Zu reden geben vor allem zwei Quarterbacks.

Von Livio Brandenberg

Vor zwei Wochen schüttelten die Los Angeles Rams die Footballwelt gehörig durch: Das frisch von St. Louis nach Kalifornien umgezogene Team schloss mit den Tennessee Titans einen Deal, um im diesjährigen Draft vor allen anderen auswählen zu können. Der Preis dafür war heftig, L.A. musste  ein ganzes Bündel picks abgeben. Und das tut man in der heutigen NFL nur, wenn ein Quarterback im Spiel ist. Wer gewinnen will, braucht einen Top-Quarterback.

Die mit Abstand wichtigste Position ist bei den Rams – Stand heute – mit Case Keenum und Nick Foles, nun ja, qualitativ unterbesetzt. Seit zwei Wochen ist also klar, dass L.A. mit dem erworbenen first overall pick einen Quarterback ziehen wird. Doch die Ausgangslage ist dieses Jahr insofern speziell, als es unter den für den NFL-Draft angemeldeten College-Spielmachern keinen klaren Favoriten gibt – wie etwa 2012, als Andrew Luck schon Wochen vor dem Draft als Nummer 1 feststand.

Nein, dieses Jahr können sich die Experten und, so scheint es, auch die NFL-Coaches und General Manager nicht einigen. Seit Monaten schon läuft die Debatte, welcher der Collegeprimusse denn besser sei: Jared Goff (Cal) oder Carson Wentz (North Dakota State). Beide Quarterbacks spielten während ihrer College-Zeit enorm erfolgreich, Goff gilt als reifer, er ist gemäss Experten schneller bereit, auf dem nächsthöheren Level zu starten. Wentz auf der anderen Seite kommt von einem kleineren College, ist bisher also nicht den stärksten Gegnern gegenübergestanden. Ausserdem startete er auf Hochschullevel lediglich 23 Mal (Goff lief in Berkeley 37 als Starter aufs Feld). Doch seiner Athletik wegen attestieren ihm zahlreiche Beobachter das höhere Potenzial, sollte er es dereinst ausschöpfen.


Quelle: Youtube/Harris Highlights

Die Rams werden also zu 99,9 Prozent – absolute Sicherheit gibt es beim Draft nicht – einen dieser beiden Quarterbacks wählen. In den letzten Tagen sind Berichte aufgetaucht, die Rams-Verantwortlichen präferierten Jared Goff. ESPN-Draft-Experte Todd McShay sprach kürzlich vom «am schlechtesten gehüteten Geheimnis der Welt, dass L.A. Goff wählen wird». Die Rams-Verantwortlichen geben sich derweil bis zuletzt bedeckt, Coach Jeff Fisher sagte diese Woche lediglich, man werde «wahrscheinlich einen Offensivspieler wählen».

Noch interessanter wird der heutige Draft dank den Philadelphia Eagles: Vor einer Woche tradeten sie ebenfalls nach oben in der Draft-Rangfolge und sicherten sich den zweiten pick der ersten Runde. Dieser move kostete auch die Eagles einiges (fünf picks total). Für Daniel Jeremiah, Draft-Analyst bei NFL Media, ist klar: Philadelphia will einen Quarterback. (Nach Bekanntwerden des trades meldete sich der erst Anfang März erneut unter Vertrag genommene Sam Bradford zu Wort, er wolle raus aus Philly.)

 

Was passiert also heute Nacht in Chicago mit den Quarterbacks, wenn die erste Runde des NFL-Drafts 2016 eingeläutet wird (3 Uhr Schweizer Zeit)? Unter den oben dargelegten Vorzeichen sind die folgenden drei Hauptszenerien wahrscheinlich:

Szenario 1: Die L.A. Rams wählen, wie inzwischen erwartet, mit dem ersten pick Jared Goff und erhalten somit einen jungen (21 Jahre), mit drei absolvierten Collegesaisons jedoch erfahrenen und NFL-reifen Spielmacher, der seinerseits ein solides Team mit einem Star-Runningback (Todd Gurley) sowie einer starken, hyperaggressiven Defensive vorfindet. Mit Goff am Steuer sind die Rams per sofort ein recht komplettes Team, vorausgesetzt, der Neuling spielt einigermassen konstant und verursacht nicht allzu viele Ballverluste. L.A. will jetzt gewinnen, und nicht einen Spieler über zwei, drei Jahre entwickeln. Erfüllt Goff die Erwartungen, winken den Rams die Playoffs.

In diesem Szenario sind die Philadelphia Eagles mit der Wahl L.A.s zufrieden und ziehen mit dem zweiten overall pick Carson Wentz. Wie verschiedene Experten und Journalisten vermuten, war Wentz von Beginn an der Favorit der Eagles. Der neue Coach Doug Pederson mag grosse, traditionelle Quarterbacks, mit denen er sein Offensivsystem installieren kann. Das bietet Wentz (1 Meter 96) den Eagles. Howie Roseman, General Manager der Eagles, sagte vor gut einer Woche, wenn man so einen Tauschhandel eingehe wie sein Team dies tat, dann müsse man sich mit diesen beiden Quarterbacks «wohlfühlen». Roseman sagte bei dieser Gelegenheit aber auch: «We’re very sure we’re going to get the player we want.» Heisst: Wir wissen, welchen Quarterback wir bekommen.

(Eigentlich haben die Eagles mit ihrem trade auch die Rams blossgestellt, die bis zum Schluss keinen klaren Wein einschenken wollen; denn beide Teams, wissen mit hoher Wahrscheinlichkeit, was sie bekommen werden.)

Und auch nur das macht Sinn. Philadelphia hätte nie raufgetraded und so viele picks abgegeben, hätten die Verantwortlichen nicht gewusst, dass L.A. Goff ziehen wird und die Eagles somit ihren Favoriten Wentz mit dem zweiten pick erhalten. Es ist nicht bekannt, ob offene Gespräche zwischen den Teams stattgefunden haben. Doch es ist anzunehmen, dass entsprechende Signale ausgesendet wurden. Es hat die Rams wie auch die Eagles viel gekostet, doch dieses Szenario stellt, was die Quarterbacks betrifft, für beide Teams eine Win-win-Situation dar.

Wahrscheinlichkeit: 95 Prozent.

Szenario 2: Mit dem ersten pick zieht L.A. Carson Wentz. Die Rams haben alle Beteiligten und auch alle Beobachter an der Nase herumgeführt und steigen mit einer Überraschung den Draft ein. Völlig ausgeschlossen ist dies nicht, denn Coach Jeff Fisher kennt sich mit Quarterbacks von kleineren Colleges aus: 1995 draftete er, damals noch als Coach der Houston Oilers (später: Tennessee Titans), mit dem dritten pick Steve McNair, der an der kleinen und eher unbekannten Uni Alcorn State spielte. Fisher hätte damals auch den bekannteren und erfahreneren Kerry Collins wählen können. Doch der Zug ging auf: Mit McNair erlebten die Oilers und die nach dem Umzug nach Tennessee umbenannten Titans ihre erfolgreichsten Jahre. Der Höhepunkt für Fisher und McNair war das Erreichen des Super Bowls XXXIV im Jahr 2000 .

Die heutigen Rams dürfte Wentz‘ Herkunft also nicht abschrecken. Oder wie es ESPN-Experte McShay ausdrückt: «I don’t think it hurts knowing that you’ve done it». Doch den Schluss «kleines College = ein Vorteil» zu ziehen wäre voreilig. So sagte Coach Fisher Mitte April betreffend Quarterbacks zu ESPN: «Unsere Philosophie ist, einen Spieler nicht auf das Feld zu schicken, bevor er bereit ist». Und wenn es eine einigermassen breite Übereinkunft unter den Analysten gibt, dann die, dass Carson Wentz noch ein bis zwei Jahre braucht, um sich in der NFL zu akklimatisieren.

Wenn Wentz, der mutmassliche Favorit der Eagles weg ist, bleibt Philadelphia nicht anderes übrig, als Jared Goff zu wählen. Es ist kaum vorstellbar, dass sich Philadelphia diese Chance entgehen lässt – auch wenn das Herz der Eagles-Verantwortlichen bis zu diesem Zeitpunkt für Carson Wentz geschlagen hatte.

Quarterback-Alternativen, wie etwa Paxton Lynch, Connor Cook oder Dak Prescott, dürften den Eagles zu riskant sein. Sollten sie aber Goff – warum auch immer – auf keinen Fall draften wollen, bliebe einzig die Option, einen Defensivspieler ins Boot zu holen.

Wahrscheinlichkeit: 30 Prozent.

Da führt uns zu Szenario Nummer 3.

Szenario 3: Denkbar ist auch ein Szenario – vorausgesetzt, Wentz ist off the board –, in welchem Philadelphia einen anderen Weg geht und den in seinen Augen besten Defensivspieler, zum Beispiel Jalen Ramsey oder Joey Bosa, zu einem Eagle macht, Quarterbacks hätte man ja genug auf dem roster (oben erwähnter Sam Bradford und Chase Daniel). Doch die Gerüchte halten sich hartnäckig, dass der neue Coach Pederson einen Neuanfang und einen Quarterback für die nächsten 15 Jahre will. Generell war Stimmung in Philadelphia auch schon deutlich besser (siehe oben), Bradford wird kaum in einem Eagles-Jersey zu sehen sein dieses Jahr. Wenn er bleibt, wird er wohl auf die Bank versetzt.

Wahrscheinlichkeit: 5 Prozent.

Szenario 4: Da weder die Rams noch die Eagles offen kommuniziert haben, welchen Spieler sie im Auge haben  welchen Quarterback sie zu ihrem Anführer machen werden, bleibt Raum für Spekulation der wilden Art.

In den letzten Tagen sind Gerüchte laut geworden, Connor Cook von der Michigan State University könnte bei verschiedenen Teams sehr gefragt sein. Die Chance jedoch, dass L.A. oder Philly Cook so hoch zieht, liegen nahe bei Null. Cook ist zwar ein erfahrener und erfolgreicher College-Quarterback, aber ihn begleiten auch Bedenken. Er sei grossspurig und arrogant, plus sei er nie zum Team-Captain gewählt worden an der Uni – sonst die Norm für Quarterbacks.

Dass die Rams oder danach auch die Eagles keinen der beiden Top-Quartierbacks aussuchen, ist zwar möglich, dennoch unwahrscheinlich. Ins Spiel gebracht werden von verschiedenen Seiten andere Kandidaten, am häufigsten genannt wird der ehemalige Memphis-Quarterback Paxton Lynch. Lynch ist zwar physisch äusserst interessant, die meisten Experten, beispielsweise New-York-Jets-Reporter Rich Cimini, sehen ihn aber eher als Kandidaten für die hinteren Plätze der ersten Runde.

Wahrscheinlichkeit: 5 Prozent.

Die Spekulationen werden bis zuletzt, wenn die L.A. Rams ihren pick einreichen müssen, nicht abreissen. In ein paar Stunden wissen wir mehr. Dann dürften die L.A. Rams und die Philadelphia Eagles Jared Goff und Carson Wentz gezogen haben – und zwar in dieser Reihenfolge. ■