Stilllegung des AKW Mühleberg: «Kosten von 2 Milliarden sind gedeckt»


Quelle: Youtube/BKW

Kernkraft – 2019 geht das erste AKW der Schweiz vom Netz. Die Finanzierung für das 2-Milliarden-Projekt ist laut der Betreiberin gesichert. Welche Firmen die Zerlegung übernehmen werden, ist jedoch noch nicht klar.

Von Livio Brandenberg

«Die Finanzierung für die Stilllegung ist auf Kurs» sagte Suzanne Thoma, Geschäftsführerin der BKW Energie AG, die das AKW Mühleberg betreibt. Der Energiekonzern informierte gestern in Bern die Medien detailliert, wie er das AKW stilllegen und zurückbauen will. Die BKW will die Anlage in Mühleberg Ende Dezember 2019 vom Netz nehmen, ab dann wird kein Strom mehr produziert. Die rund 300 Mitarbeiter bleiben fast ausnahmslos weiter bei der BKW beschäftigt.

Bis Anfang Mai liegen die Projektpläne nun öffentlich auf. Anwohner und Verbände haben einen Monat Zeit, Einsprache zu erheben (siehe Artikel vom 2. April).

Das Abschalten ist nur der erste Schritt des gesamten Stilllegungsprozesses. Danach beginnt ein hochkomplexes und vor allem teures Unterfangen: In mehreren Phasen (siehe Grafik) will die BKW die Anlage rückbauen und alles Material fachmännisch entsorgen. Kostenpunkt: gut 2 Milliarden Franken.

Rückstellungen von 861 Millionen

Die Stilllegung von Mühleberg wird rund 800 Millionen Franken kosten, rechnet die BKW. Bis Ende 2015 hat sie für die Stilllegung – also das Abschalten des Reaktors und den gesamten Rückbau – Rückstellungen von 861 Millionen Franken gemacht. «Die BKW finanziert alles vor, dafür machen wir Rückstellungen», sagt Tobias Fässler, Medienchef der BKW.

Suzanne Thoma BKW

Suzanne Thoma, CEO BKW, Bild: BKW

Ganz so einfach ist es indes nicht. Denn die Finanzierung des gesamten Projekts ist stufenweise aufgebaut: «Vom Moment, an dem das AKW Mühleberg keinen Strom mehr produziert, beginnt die Nachbetriebsphase. Für die Kosten dieser Phase sind allein wir zuständig», sagt Fässler. Sobald die Brennstäbe ins Zwischenlager abtransportiert wurden, beginnt die Rückbauphase. «Für diese Kosten wurden Gelder in den Still­legungsfonds des Bundes einbezahlt», erklärt Tobias Fässler. Dieser wurde im Jahr 1984 gegründet. Beitragspflichtig sind die Eigentümer der AKW Beznau 1 und 2, Mühleberg, Gösgen und Leibstadt sowie das zentrale Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen.

In den Stilllegungsfonds hat die BKW, die auch Eigentümerin von Mühleberg ist, per Ende des letzten Jahres 380 Millionen Franken eingezahlt. «Die Gelder in den Fonds gehören der BKW, doch sie sind auf einer Art Sperrkonto», präzisiert Fässler. «Wichtig ist: Wir können die anfallenden Kosten – Stand heute – mit unseren Rückstellungen decken», so Fässler.

«Keine Sorge wegen des Geldes»

Damit sei man finanziell gut aufgestellt, um das AKW Mühleberg plangemäss stillzulegen, sagt Suzanne Thoma. Schon Mitte März, als die BKW ihr Jahresergebnis präsentierte, gab sich die Chefin zuversichtlich: «Ich mache mir keinerlei Sorgen wegen des Geldes», sagte sie. Die BKW schloss das vergangene Jahr mit einem Gewinn von 284 Millionen Franken ab. Ein solides Resultat, zieht man die aktuellen Probleme von Konkurrenten wie Alpiq oder Axpo in Betracht.

Grafik AKW Mühleberg

Grafik: «Neue Luzerner Zeitung» vom 5. April 2016

Weiter sagt Thoma, man müsse die Gesamtkosten für die Stilllegung auch in Relation setzen zur Leistungsfähigkeit des Unternehmens: «2 Milliarden Franken sind gleich viel wie vier Jahre Cashflow», sagt die BKW-Chefin. Der Cashflow sind die selber erarbeiteten, flüssigen Mittel, mit denen auch Investitionen bezahlt werden.

Noch teurer als der Rückbau wird die Entsorgung der radioaktiven Reste des AKW. «Aus dem Stilllegungsfonds kommt nur Geld für den Rückbau; die Entsorgung wird über den Entsorgungsfonds finanziert, in den die BKW parallel zum Stilllegungsfonds Einzahlungen tätigt», erklärt BKW-Sprecher Fässler. Der Entsorgungsfonds wurde 2000 gegründet und wird ebenfalls vom Staat kontrolliert. Insgesamt 1,3 Milliarden Franken budgetiert die BKW für die Entsorgung des radioaktiven Materials. Bis Ende 2015 hat die BKW 550 Millionen in den Entsorgungsfonds überwiesen. Dazu kommen Rückstellungen in der Höhe von 725 Millionen Franken.

Weil die BKW so viel Geld auf die Seite gelegt hat, ist es laut CEO Suzanne Thoma umso wichtiger, dass gleich nach dem Abschalten des Reaktors mit dem Rückbau begonnen werden kann. Denn für die BKW sei es «keine Option, die Anlage einfach abzustellen», so Thoma. «Dann hätte man über 300 Mitarbeiter, die nicht mehr arbeiten können, die man jedoch weiter bezahlen müsste, und eine leere Anlage. Auf der anderen Seite könnte man keinen Strom mehr verkaufen und würde kein Geld verdienen», erklärt Thoma.

Verzögerung wegen Beschwerde?

Die BKW habe seriöse Arbeit geleistet und alles getan, was möglich sei. «Nun gehen wir davon aus, dass auch alle Beteiligten einen Teil der Verantwortung übernehmen, sodass dieses AKW stillgelegt werden kann und dass dies zügig geschehen kann.» Damit richtet sich Thoma indirekt an den Kanton Bern sowie die einspracheberechtigten Gemeinden und Privaten, keine Einsprachen einzureichen. Auf die Frage, ob sie mit solchen rechne, antwortete die BKW-Chefin, man sei mit den AKW-kritischen Organisationen im Dialog. Eine allfällige Beschwerde gegen das Vorhaben oder gegen Teile des Projekts kann bis vor Bundesgericht gebracht werden. Bei einem solchen Szenario dürfte der Zeitplan der BKW arg durcheinandergeraten.

Know-how aus Deutschland

Was ebenfalls noch nicht klar ist: Wer wird die enorm schwierigen Zerlegearbeiten am Reaktor übernehmen? Die Stilllegung eines Leistungsreaktors ist ein Novum in der Schweiz, die BKW nennt es ein «Pilotprojekt». Den Grossteil der Rückbauarbeiten wird die BKW mit den eigenen Mitarbeitern bewältigen, so Philipp Hänggi, Leiter Nuklear der BKW. Die eigenen Leute seien sehr fähig, und man wolle so viel wie möglich selbst in der Hand haben. Wobei der BKW-Experte betont, dass die Mitarbeiter weniger radioaktiven Strahlen ausgesetzt sein werden beim Rückbau als während des normalen Betriebs. Dies, weil die Radioaktivität in der Anlage nach dem Abschalten in den ersten drei Monaten um den Faktor 1000 abnehme.

Die BKW wird den Reaktor allerdings nicht selber zerlegen. «Für hoch spezialisierte Demontage- und Zerlegearbeiten werden wir Spezialisten beiziehen», bestätigt Sprecher Tobias Fässler. Da diese Arbeiten aber erst in acht Jahren anfallen, sei es jetzt noch zu früh, um mehr dazu sagen zu können. «Entsprechendes Know-how ist unter anderem in Deutschland vorhanden, da dort bereits Kernkraftwerke zurückgebaut wurden und werden», so Fässler. Die Vergabe solcher Aufträge an aus- oder auch inländische Firmen dürfte dann in aller Regel ausgeschrieben werden. Zu den Firmen, die sich bereits auf den Rückbau von AKW spezialisiert haben, gehören das US-Unternehmen Westinghouseder französischen Areva-Konzern oder die deutsche Siempelkamp NIS Ingenieurgesellschaft mbH.

Die vollständige Präsentation der BKW vom 4. April 2016 finden Sie hier. ■

(Dieser Artikel ist in leicht anderer Form erschienen am 5. April 2016 in der «Neuen Luzerner Zeitung».)