AHV soll für beide Ohren zahlen

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Anprobe eines Hörgeräts, Bild: Flickr/Bundesinnung Hörgeräteakustiker

Hörgeräte – Wer in der Schweiz ein Hörgerät braucht, erhält finanzielle Beiträge von AHV und IV. Diese variieren aber stark. Ein Vorstoss will diese Ungleichbehandlung jetzt beseitigen. 

Von Livio Brandenberg

Für Schwerhörige sind sie die kleinen Retter: Hörgeräte. Seit 2011 zahlt die IV oder die AHV jedem, der eines benötigt, eine Pauschale an ein solches Gerät. Dabei sind Personen im AHV-Alter, also über 65-Jährige, deutlich schlechtergestellt als jüngere Betroffene. So erhalten Pensionierte 630 Franken für ein Hörgerät. Leuten, die noch nicht das AHV-Alter erreicht haben, zahlt die IV 840 Franken für ein Gerät (nur für ein Ohr) und 1650 Franken für zwei Geräte (für beide Ohren). Zum Vergleich: Im Schnitt kosten zwei Geräte 2500 Franken.

Die Ungleichheit bei den Beiträgen will der Urner FDP-Ständerat Josef Dittli nun beseitigen: Er hat letzte Woche eine Motion eingereicht, in der er vom Bundesrat fordert, der Pauschalbetrag für alle Hörgeräte im AHV-Alter sei auf die gleiche, höhere Pauschale der IV anzuheben. Dittli möchte ausserdem, dass dieser Betrag den Betroffenen – altersunabhängig – jeweils nach fünf Jahren wieder zusteht. Bei der AHV haben Betroffene heute höchstens alle fünf Jahre Anspruch, bei der IV gilt eine Frist von sechs Jahren.

Dass er aktiv geworden sei, habe zwei Gründe, sagt Dittli auf Anfrage. Erstens habe er selber eine leichte Hörminderung und trage bei Gelegenheit Hörgeräte in beiden Ohren. Zweitens habe ihn ein Ohrenarzt im Kanton Uri auf die Ungleichbehandlung angesprochen, so der 59-Jährige. «Die heutige Regelung ist ungerecht und überholt», sagt Dittli.

Ungleichbehandlung ist historisch bedingt

Damit spricht er weitere Punkte der finanziellen Unterstützung bei den Hörgeräten an, die Leute im AHV-Alter benachteiligen. Etwa, dass die IV bereits ab einem Hörverlust von 15 bis 20 Prozent bezahlt, die AHV jedoch erst ab 35 Prozent. Oder dass die IV auch für die Batterien und die Reparaturen der Geräte aufkommt, die AHV aber nicht. Warum diese Ungleichbehandlung? Harald Sohns, Mediensprecher beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), sagt: «Ein Grund dafür ist historisch bedingt: Bei der AHV geht es darum, die Existenz im Alter zu sichern. Die Beiträge an die Hörgeräte sind eine Sonderregelung aus der Zeit, als es noch keine obligatorische Krankenversicherung gab.» Dass in diesem Bereich Hilfsmittel bezahlt werden, sei schon an sich ein wenig exotisch, so Sohns.

Ein zweiter Grund liege im Auftrag der beiden Sozialversicherungen. Die IV sei dafür da, Betroffene ins Erwerbsleben zurückzuführen. Darum brauche es hier die umfassendere Unterstützung. «Die AHV hingegen hat den gesetzlichen Auftrag, einen Beitrag an die Versorgung zu zahlen – aber nicht, sie deckend zu finanzieren», so der BSV-Sprecher. Es handle sich dort lediglich um einen «Zustupf». «Es geht darum, dass die Leute in diesem Alter weiter aus dem Haus und Kontakte knüpfen können», sagt Sohns. In aller Regel seien Zusatzkosten für diese Personen zumutbar. Falls nicht, gebe es die Ergänzungsleistungen.

Nicht einverstanden mit den Argumenten des BSV ist Andrea Gerfin, Geschäftsführerin der Organisation Pro Audito Schweiz, die auch als Dachverband von 30 regionalen Hörbehindertenvereinen aktiv ist. «Die Ungleichbehandlung ist nicht mehr zeitgemäss. Gerade mit Blick auf die Alterspyramide ist hier ein Umdenken gefordert.» Darum unterstütze Pro Audito Schweiz die Motion Dittlis. Etwa, dass von der AHV nur die Versorgung für ein Ohr mitfinanziert wird, mache medizinisch «keinen Sinn», sagt Gerfin. Es brauche zwei Ohren, um im Kopf fit zu bleiben.

Breite Unterstützung aus den Parteien

Welche volkswirtschaftlichen Auswirkungen die von Josef Dittli geforderte Anpassung hätte, hat das BSV noch nicht berechnet. Die Gesamtkosten für Hörgeräte-Beiträge beliefen sich im letzten Jahr auf 51,6 Millionen Franken. Das Bundesamt schätzt, dass Mehrkosten von rund 10 Millionen pro Jahr entstehen würden, wenn die AHV – wie die IV – zwei Hörgeräte mitfinanzieren würde. «Es stellt sich aber sowieso die Frage, wie viele Personen diese Leistung überhaupt in Anspruch nehmen würden», sagt Sohns.

Er verweist ausserdem darauf, dass bei den Hörgeräten die Besitzstandswahrung gilt. Das heisst: Wenn ein Hörgeschädigter sein erstes Hörgerät kauft, bevor er 65 Jahre alt ist, dann gilt für diese Person weiter die IV-Regelung; sie ist also bessergestellt, als wenn sie etwa erst mit 66 Jahren zum ersten Mal ein Hörgerät anschaffen muss. Auch diese Ungleichbehandlung würde wegfallen, sollte Josef Dittlis Motion beim Bundesrat und dann beim Parlament Gehör finden. Laut dem FDP-Ständerat ist dies durchaus möglich: Seine Motion haben Parlamentarier aus FDP, CVP, SVP und SP unterschrieben. ■

(Dieser Artikel ist in leicht anderer Form erschienen am 24. September 2016 in der «Luzerner Zeitung» und im «St. Galler Tagblatt».)