Twitter wird heute 10 Jahre alt – Doch das Vögelchen wird nicht flügge

Twitter Logo Bird

Bild: mkhmarketing, Flickr

Social Media – Das soziale Netzwerk Twitter wird heute zehn Jahre alt. Grund zu feiern hat der Kurznachrichtendienst aber nicht. Das Geschäftsmodell wackelt.

Von Livio Brandenberg (@LBrandenberg)

Am 21. März 2006 verschickte Twitter-Mitgründer Jack Dorsey den ersten Tweet: «just setting up my twttr» – frei übersetzt: «Richte gerade mein Twitter-Konto ein.» Der Kurznachrichtendienst aus San Francisco war geboren.

Was Twitter (Deutsch: Gezwitscher) ist, ist schnell erklärt: ein kostenloser Online-Dienst, mit dem man in maximal 140 Zeichen der Welt mitteilen kann, was einem gerade so einfällt (siehe Zweittext unten).

In der kurzen Zeit seit dem Gründungstag ist viel passiert: Twitter änderte seinen Namen – gegründet wurde das Un­ternehmen unter dem Namen «Twttr» –, ging an die Börse und hat heute über 320 Millionen aktive Nutzer. Überdies werden Twitter-Nachrichten unter allen Beiträgen aus den sozialen Medien inzwischen mit am meisten zitiert, auch von traditionellen Medien. Fast jeder Politiker, der etwas auf sich hält, die meisten Unternehmen, Medien, Profi-Sportvereine und auch Künstler kommunizieren über die Plattform.

Eine Erfolgsstory also? Nicht nur. Das Unternehmen hat kaum je Gewinn erwirtschaftet, in den vergangenen zwölf Monaten verlor die Twitter-Aktie an der Börse in New York über 60 Prozent, es gab einen kurzfristigen Chefwechsel, und im Oktober kündigte der Dienst an, beinahe jeden zehnten Mitarbeiter zu entlassen.

Twitter Aktie

Grafik: www.onvista.de

Das Nutzerwachstum stagniert

Was die Anleger beunruhigt: Twitter gelingt es seit einiger Zeit nicht mehr, neue Nutzerinnen und Nutzer dazuzugewinnen. Im vierten Quartal des letzten Jahres ging die Zahl der Nutzer sogar leicht zurück. Für Twitter eine alarmierende Tatsache, ist das Nutzerwachstum für einen Online-Dienst doch die mit Abstand wichtigste Kenngrösse. Während Twitter weltweit bei rund 320 Millionen aktiven Nutzern stehen bleibt, hat Facebook zurzeit zirka 1,55 Milliarden aktive Nutzer, Tendenz steigend.

Tom Brühwiler (46) war einer der ersten Schweizer auf Twitter. Seit März 2007 ist der Twitter-Experte unter dem Namen @bloggingtom aktiv und hat bisher über 50 000 Tweets verfasst. Dass Twitter Mühe hat zu wachsen, liegt laut Brühwiler vor allem daran, dass der Dienst nicht so intuitiv ist wie Facebook: «Twitter erschliesst sich einem nicht sofort.» Wenn man einen Account eröffne, stehe man «vor dem virtuellen Nichts», sagt Brühwiler. «Es ist ein wenig wie auf dem Pausenplatz: Am Anfang ist es schwierig, den Anschluss zu finden», so Brühwiler. Im Gegensatz zu Facebook, wo man be­reits auf einen privaten Freundeskreis aus dem reellen Leben zurückgreifen kann, besteht laut Brühwiler bei Twitter eine klar höhere Einstiegshürde.

Bilder gehen in Sekunden um die Welt

Ein weiterer entscheidender Unterschied zwischen Twitter und Facebook sieht Experte Brühwiler darin, wie die beiden Plattformen genutzt werden: «Facebook dient den meisten Nutzern zur Kontaktpflege und wird privat genutzt.» Auf Twitter hingegen baue man sich nicht den «klassischen» Freundeskreis auf, sondern orientiere sich an Themen, erklärt Brühwiler. «Das braucht mehr Angewöhnungszeit, da ich zuerst die Leute finden muss, die diejenigen Themen abdecken, die mich interessieren», so Brühwiler. «Ich habe mich damals registriert und bin dann ein halbes Jahr weggeblieben. Erst danach hat es mir den Ärmel reingezogen», erinnert er sich.

Heute ist der Kurznachrichtendienst für ihn und viele andere nicht mehr wegzudenken, vor allem wegen der Geschwindigkeit, mit der Nachrichten verbreitet und konsumiert werden können. Das geht auf Twitter rasend schnell. Ein Beispiel war die von Geschäftsmann Janis Krums via Twitter verbreitete Aufnahme des auf dem Hudson River in New York notgelandeten US-Jets im Januar 2009. Bevor ein Kamerateam oder Pressefotografen vor Ort sein konnten, ging das Bild um die Welt – innert Sekunden.

Dabei dürfte die Schwierigkeit für viele Nutzer darin liegen, die für sie relevanten Nachrichten herauszufiltern. Pro Tag werden heute weltweit rund 500 Millionen Tweets versendet – eine enorme Menge. «Es herrscht ein permanenter Informationsüberfluss, eine Dauerberieselung», sagt Tom Brühwiler. «Die Kunst ist, zu erkennen, welchen Leuten man folgt, dass man also von Anfang an gut sortiert.»

Werbung stört die Nutzer

Die Herausforderung für das Unternehmen wird derweil sein, endlich Geld zu verdienen. Wie alle Online-Dienste lebt auch Twitter von der Werbung. Und Werbetreibende lockt man mit möglichst immer mehr Nutzern an. Twitter muss also zuerst das bereits angesprochene Problem des Nutzerwachstums lösen, um finanziell gesund dazustehen.

Doch so einfach ist es mit der Werbung nicht. Bei Twitter wird diese in der sogenannten Timeline, der Liste der abonnierten Beiträge, angezeigt. Und dort ist nicht viel Platz. Hinzu kommt, dass die Leute Online-Dienste immer mehr auf Tablets oder vor allem auf dem Smartphone nutzen, wo noch weniger Platz vor­handen ist.

Twitter-Pionier Brühwiler sieht noch einen weiteren Haken: «Die Werbung, die Twitter heute schaltet, stört schon viele Nutzer, doch sie reicht bei weitem nicht aus.» Brühwiler ist deshalb überzeugt, dass das Netzwerk eher früher als später den Spagat schaffen muss, eine Werbeform zu finden, die die Nutzer nicht stört oder gar abschreckt, die aber genug Einnahmen generiert. «Momentan sehe ich nicht, wie Twitter Geld verdienen will», sagt er. Denkbar wäre für Brüh­wiler auch ein Abo-Modell, dass der Dienst also etwa 1 bis 2 Dollar pro Monat kosten würde. «Ich würde so ein Abo zahlen», sagt er, «Junge hingegen kaum.» Und das könnte für Twitter gravierende Folgen haben, nämlich, wenn die Jungen abspringen, «wenn die Community quasi ausblutet», wie es Brühwiler ausdrückt.

Zeichenbegrenzung ist vom Tisch

Dass Twitter verschwindet, glaubt Brühwiler indes nicht. Doch eine Annä­herung an andere Online-Plattformen, vor allem an Facebook, scheint unumgänglich. Erste Anzeichen gibt es schon: Seit gut zwei Jahren werden auf Twitter Bilder grösser angezeigt, und erst im Januar dieses Jahres gab Gründer Jack Dorsey bekannt, dass Twitter prüfe, die Limite der maximalen Zeichenzahl von 140 aufzuheben und längere Nachrichten zuzulassen. Ende letzte Woche liess der Twitter-Chef dann schliesslich verlauten, man wolle die Zeichenbegrenzung doch beibehalten: «Es bleibt. Es ist eine gute Beschränkung für uns», sagte Dorsey zum TV-Sender NBC. Tom Brühwiler begrüsst die Begrenzung: «Sich auf die 140 Zeichen beschränken zu müssen, macht Twitter aus und ist Teil des Reizes».

Der meistgeteilte / retweetete Tweet bisher: «Wäre Bradleys Arm nur länger. Bestes Foto aller Zeiten», schreibt die US-Mode­ratorin Ellen DeGeneres zu einem Bild, welches der Schauspieler Bradley Cooper an den Oscars 2014 schiesst. Auf dem Bild sind 12 hochkarätige US-Schauspieler zu sehen, darunter Brad Pitt, Kevin Spacey, Julia Roberts, Jennifer Lawrence und Meryl Streep. Der Tweet wird 3,3 Millionen Mal geteilt – absoluter Rekord.

 

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10 Jahre 140 Zeichen

Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter kann jeder gratis ein Konto (Account) erstellen. Wer sich unter einem Nutzernamen, der immer mit dem «at»-Symbol (@) beginnt, registriert, kann Kurznachrichten (Tweets) in der Länge von maximal 140 Zeichen verbreiten. Inzwischen können aber auch Bilder oder Videos versendet werden. Wer sich für einen bestimmten Nutzer interessiert, etwa für einen Bundesrat oder einen Musiker, aber auch für eine Firma oder eine Zeitung, kann diesem folgen (followen) und erhält dann auf seinem eigenen Profil sämtliche Beiträge dieses Nutzers. Personen und Unternehmen sind auf Twitter anhand einer Suchfunktion einfach zu finden. Wer einen Beitrag eines anderen mit seinen Followern teilen möchte, kann ihn retweeten, das heisst, den Tweet – meist wörtlich und unkommentiert – wiederholen. Dafür bietet Twitter eine integrierte Retweet-Funktion an. Der Beitrag erscheint dann auch auf dem eigenen Profil.

Twitter-Nachrichten erreichen aber nicht nur eigene Follower, sie können anhand von Hashtags (#) auch thematisch markiert werden, zum Beispiel #Elections16. Ein Beitrag erreicht so auch diejenigen Nutzer, die nach Tweets zu den US-Präsidentschafts(vor)wahlen suchen.

Zum ersten Mal schlägt Twitter-Nutzer Chris Messina den Gebrauch des Hashtags (#) für Themen am 23. August 2007 vor:

Heute hat Twitter weltweit rund 500 Millionen registrierte Nutzer, gut 320 Millionen sind regelmässig aktiv. In der Schweiz sind es aktuell rund 700 000 Nutzer, wovon laut einer neuen Studie rund 250 000 regelmässig aktiv sind. Die Erhebung zeigt auch: Je jünger die Nutzer, desto häufiger wird getwittert. ■

(Dieser Artikel ist in leicht anderer Form erschienen am 19. März 2016 in der «Neuen Luzerner Zeitung».)