NFL-Playoffs 2016: Prognose für die Wildcard-Spiele

American Football – Die reguläre NFL-Saison 2015 / 2016 ist Geschichte, die Playoffs stehen. Morgen geht’s los. Höchste Zeit also für einen Überblick über die anstehenden Wildcard-Partien sowie eine Kurzprognose.

Von Livio Brandenberg

Kansas City Chiefs (11-5)  at  Houston Texans  (9-7) ;  Samstag, 9. Januar 2016 (22:35 Uhr Schweizer Zeit)

– Prognose:  70 : 30  Kansas City Chiefs

– Wieso: Auch wenn dies auf dem Papier nach einer knappen Angelegenheit aussieht, diese Partie dürfte einigermassen einseitig werden. Die Houston Texans wurden in der Preseason intensiv von Kameras der HBO-Sendung «Hard Knocks» begleitet. Und dort hat man gesehen, wie shaky die Quarterback-Position in Houston ist. Starten wird Veteran Brian Hoyer, der nach einer Gehirnerschütterung und der obligatorischen Pause wieder in die Formation zurückkehren wird. Das bringt zwar ein wenig Stabilität – Hoyer spielte trotz Verletzungen eine fast schon unbeachtet solide Saison –, doch der 30-Jährige kann in einem Spiel auch einbrechen, es wäre nicht das erste Mal.

Weiter fehlt den Texans weiterhin der Running Back Arian Foster – gegen die starke Defensive der Chiefs ein enormer Nachteil. Als diese beiden Mannschaften in der ersten Woche dieser Saison gegeneinander spielten, gewann Kansas City 27-20. Danach spielten die Chiefs eine starke Saison, vor allem ab Mitte der Spielzeit: 10 Siege reihte das Team um Quarterback Alex Smith aneinander. Schön und spektakulär sah das zwar nicht immer aus, aber auch in knappen Partien setzten sich die Chiefs jeweils durch. Weil die Texans ihre (schwache) Division gewannen, spielen sie zu Hause, doch der Heimvorteil wird in dieser Affiche nicht entscheidend sein.

– X-Faktor: Gibt es zwei: Auf der einen Seite hat der Superstar der Texans, Defensive End J.J. Watt, nach einem Bruch der linken Hand im Training nun seine beiden Händen wieder zur vollen Verfügung. Ein entsprechender Handschutz konnte diese Woche entfernt werden. Das ist insofern relevant, als Watt sowieso ein günstiges matchup bevorsteht: die Offensive Line der Kansas City Chiefs gehört nicht zu den verlässlichsten der Liga. Der zweite X-Faktor ist Star-Linebacker Justin Houston, der beste Spieler der Chiefs. Houston wird nach einer Knieverletzung im November mit grosser Wahrscheinlichkeit wieder spielen morgen – keine good news für die Texans. Speziell, da den Texans der solide Starter auf der Left-Tackle-Position, Duane Brown, fehlen wird. Brown verletzte sich im letzten Spiel der Saison.

 

Pittsburgh Steelers (10-6)  at  Cincinnati Bengals (12-4)  ;  Sonntag, 10. Januar 2016 (02:15 Uhr Schweizer Zeit)

– Prognose:  60 : 40  Cincinnati Bengals

– Wieso: Die Cincinnati Bengals haben sich sicher einen anderen Gegner gewünscht. Eigentlich hätten sie dieses Wochenende sowieso noch am TV mitverfolgen müssen, wie sich ihr Gegner durchkämpft. Denn Cincinnati stand in der Vorwoche kurz davor, sich in Denver ein bye für die Wildcard-Runde zu erspielen, indem man die AFC gewonnen hätte. Stattdessen verloren die Bengals gegen Denver, um sich nun einem der besten, erfahrensten Playoff-Quarterbacks gegenüber zu sehen: «Big Ben» Roethlisberger. Hinzu kommt, dass die Bengals selbst wohl mit ihrem – durchaus fähigen und vielversprechenden – backup AJ McCarron in den Kampf steigen werden. Starter Andy Dalton verletzte sich bei einem tackle in der 14. Woche gegen – die Steelers. Pittsburgh gewann 33-20.

Doch die Steelers selbst schlüpften nur knapp in die Playoffs, mit einem ziemlich glanzlosen Sieg gegen die Cleveland Browns und dank eines miserablen Auftritts der New York Jets in Buffalo. Die Saison, die Pittsburgh hinlegte, glich eher einer Achterbahn als einer geraden Zugfahrt. Neben Star-Receiver Antonio Brown, der eine unglaubliche Saison spielte, gab es viele verletzte Steelers und auch sonst einige durchzogene Spiele. Da nun nach Starter Le’Veon Bell verletzungshalber auch die Nummer 2 bei den Running Backs, DeAngelo Williams, ausfällt, riskieren die Steelers, in der Offensive eindimensional und berechenbar zu werden (die Situation erinnert ein wenig an letztes Jahr, als Bell während der Saison fehlte) . Für die kompakte und aggressive Bengals-Defensive ein gefundenes Fressen. Ausserdem muss Roethlisberger enorm aufpassen, wie er mit dem Ball umgeht: Über die letzten drei Wochen der Spielzeit warf er sechs interceptions.

– X-Faktor: AJ McCarron – wenn er denn aufläuft. Andy Daltons Daumen der rechten Wurfhand scheint sich zu erholen, doch es ist davon auszugehen, dass es nicht reicht bis morgen Abend. Es wird also viel von McCarron abhängen, der auf NFL-Level noch nie auf der grossen Bühne stand. Der 25-Jährige startete aber vier Jahre lang für die College-Übermacht Alabama. Dort verlor er kaum Spiele und bewies, dass die Scheinwerfer für ihn nicht zu grell sind. Ausserdem fand die Steelers-Defensive im Verlauf der Saison nie die nötige Konstanz und sie trifft nun auf einen zwar jungen, aber selbstbewussten Quarterback, der die Bälle an Star-Wide-Receiver A.J. Green, Tight End Tyler Eifert, die Receiver Mohamed Sanu und Marvin Jones sowie die Running Backs Giovanni Bernard und Jeremy Hill verteilt. Die einzelnen matchups gewinnen die Steelers-Verteidiger kaum gegen diese playmaker.

 

Seattle Seahawks (10-6)  at  Minnesota Vikings (11-5) ;  Sonntag, 10. Januar 2016 (19:05 Uhr Schweizer Zeit)

–Prognose:  60 : 40  Minnesota Vikings

– Wieso: Seattle kommt mit viel Rückenwind und Selbstvertrauen in diese erste Playoff-Runde, vier der letzten fünf Spiele gewannen die Seahawks. Quarterback Russell Wilson spielte dabei den besten Football seiner Karriere. Und vor gut fünf Wochen nahmen die Seahawks die Vikings in Minnesota 38-7 auseinander. Seattle überraschte gegen Ende der Saison immer wieder mit big plays beim Passspiel und brachte auch den Ersatz-Running-Back Christine Michael immer besser auf Touren. Zusätzlich können die Seahawks wohl wieder auf ihren Star-Ballträger Marshawn Lynch zählen, der von einer Bauchverletzung zurück sein sollte.

Ebenfalls wieder gesund und zurück auf dem Feld sein werden aber auch Minnesotas Defensiv-Eckpfeiler Anthony Barr, Harrison Smith und Linval Joseph, die alle fehlten beim Aufeinandertreffen vor gut fünf Wochen. Die Vikings-defense wird also stabiler und gefährlicher sein. Und seit dieser bitteren Niederlage sind die Vikings ohnehin nicht mehr das gleiche Team: sie schlossen die Reguläre Saison mit drei Siegen in Serie ab und spielten – offensiv und defensiv – den stärksten Football der ganzen Saison. Quarterback Teddy Bridgewater, erst in seinem zweiten Jahr, wirkte ruhig und machte keine erheblichen Fehler. Grosse Probleme dürften Bridgewater erwarten, wenn er den Ball passen will: die Seahawks-pass-rusher Cliff Avril und Michael Bennett bilden das wohl gefährlichste Duo überhaupt.  Doch da das Wetter in Minnesota eine Rolle spielen wird – erwartet werden Temperaturen unter null Grad Celsius –, dürften Pässe sowieso eher selten sein (zumindest zu Beginn der Partie). Das kann nur einer Seite zugute kommen: den Vikings. Superstar Adrian Peterson ist nach wie vor der beste Running Back der Liga und er wird die Möglichkeit haben, dies zu beweisen. Es dürfte eine hartumkämpfte, allenfalls weniger schön anzusehende Partie werden, doch mit dem Heimvorteil und einem gesunden, topmotivierten Adrian Peterson sind die Vorteile leicht auf der Seite von Minnesota.

Update: Running Back Marshawan Lynch wird gegen Minnesota nicht spielen.

– X-Faktor: Teddy Bridgewater. Auch wenn Adrian Peterson klar der beste Spieler auf dem Vikings-roster ist, muss Bridgewater zuerst die richtigen Entscheidungen treffen – vor allem also, wann seinem Running Back den Ball zu übergeben. Die Seattle-defense spielt aggressiv, unnachgiebig und kompakt. Wenn Bridgewater aber keine Fehler macht und den Ball nicht zu lange hält oder verliert, stehen die Chancen für ein Weiterkommen der Vikings gut. Auch wenn viele Kommentatoren klar auf Seattle setzen. Bridgewater macht einen ausgeglichenen Eindruck und kommt ebenfalls mit viel Selbstvertrauen in dieses Spiel. Dass er komplett auseinanderfällt, ist unwahrscheinlich.

 

Green Bay Packers (10-6)  at  Washington Redskins (9-7) ;  Sonntag, 10. Januar 2016 (22:40 Uhr Schweizer Zeit)

– Prognose:  70 : 30  Green Bay Packers

– Wieso: Die Green Bay Packers kommen wackelig in die Wildcard-Runde. Den ersten Platz in ihrer Division – die letzten paar Jahre praktisch für den Traditionsverein aus Wisconsin reserviert – mussten die Packers Minnesota überlassen. Das letzte Spiel der Saison verloren Superstar Aaron Rodgers und sein Team gegen ebendiese Vikings. Doch das ist nicht das Beunruhigende. Sondern die Art und Weise: nur 13 Punkte brachten die sonst offensivstarken Packers um Quarterback Rodgers zustande. Und auch generell ist es schwer vorstellbar, aber Realität, dass diese Offensive in dieser Saison unterdurchschnittlich abschnitt. Sie erzielte weniger als 300 Yards in den letzten drei Spielen der Saison. Der gefürchtete Rhythmus scheint weg zu sein. Vergessen werden darf dabei nicht, dass Green Bay schon das ganze Jahr auf Nummer-1-Receiver Jordy Nelson verzichten musste. Nelson fiel mit einem Kreuzbandriss aus, den er in der Preseason erlitt. Auch das running game, allen voran Eddie Lacy, kam über weite Strecken der Saison nicht in die Gänge.

Doch auf der anderen Seite des Balls können die Packers auf ihre Verteidigung zählen. Sie hielt das Team regelmässig in engen Spielen und dürfte, da ohne grössere Ausfälle, ihren Teil zu einem Erfolg beitragen. Die Packers bleiben also gefährlich, vor allem in den Playoffs. Sie sind erfahren, können bei jeder Witterung passen und – sie haben Aaron Rodgers, den momentan wohl besten Spielmacher. Rodgers lieferte wiederholt, speziell in den Playoffs. Wie wichtig er für die Packers ist, sah man letztes und vorletztes Jahr, als der 31-Jährige jeweils für ein paar Spiele verletzt ausfiel. Jetzt ist Rodgers fit, trotz 46 sacks, die er über den Verlauf der Saison wegstecken musste. 

NFL Playoffs picture 2016

Bild: Screen shot Youtube, TYT Sports

Die Redskins hingegen haben erst gerade zu Konstanz auf der Quarterback-Position gefunden: Kirk Cousins heisst der «Retter». Cousins spielte sich in eine Art Rausch gegen Ende der regulären Saison. Seine Stärke in dieser Phase: Er streute die Bälle an viele verschiedene Mitspieler. Am meisten profitiert hat von diesem Steigerungslauf Tight End Jordan Reed, der selber zu einer Touchdown-Maschine wurde. Zusätzlich stehen Cousins Pierre Garçon, DeSean Jackson und Alfred Morris zur Verfügung. Dieser receiving corps wird Green Bays Defensive hart prüfen. Am Ende dürfte sich dennoch, trotz Heimvorteil Washington und starkem Saisonfinish, die Erfahrung und der bessere (Playoff-)Quarterback durchsetzen. Green Bay ist und bleibt eine Playoff-Mannschaft. Und das letzte Mal, als es Green Bay nur knapp in die Playoffs schaffte und über die Wildcard-Runde musste, gewannen die Packers den Super Bowl.

– X-Faktor: Randall Cobb. Der dynamische Wide Receiver der Packers kann mit einer Aktion oder innerhalb weniger Minuten ein Spiel drehen. Er bringt die Energie bei Green Bay, er wird auf vielen verschiedenen Positionen eingesetzt, er ist der playmaker. Im Gegensatz zum Vorjahr hatte Cobb heuer Müge, viel gelang ihm nicht. Aber wie erwähnt, findet Rodgers Cobb in einem wichtigen Moment, kann dieser in Sekundenschnelle eine Partie kippen.

 

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«Opfer» des Black Monday: Jim Tomsula (San Francisco 49ers), Mike Pettine (Cleveland Browns), Frank Reich (Offensive Coordinator San Diego Chargers)

Während der Saison entlassen: Joe Philbin (Miami Dolphins), Ken Wisenhunt (Tennessee Titans), Chip Kelly (Philadelphia Eagles), Pep Hamilton (Offensive Coordinator Indianapolis Colts)

Nach der Saison entlassen: Lovie Smith (Tampa Bay Buccaneers)

Zurückgetreten: Tom Coughlin (New York Giants)

Heisse Head-Coach-Kandidaten: Adam Gase (Offensive Coordinator Chicago Bears), Hue Jackson (Offensive Coordinator Cincinnati Bengals), Dirk Koetter (Offensive Coordinator Tampa Bay Buccaneers), Ben McAdoo (Offensive Coordinator New York Giants), Josh McDaniels (Offensive Coordinator New England Patriots), Sean McDermott (Defensive Coordinator Carolina Panthers), Mike Shula (Offensive Coordinator Carolina Panthers), Teryl Austin (Defensive Coordinator Detroit Lions), Anthony Lynn (Assistant Head Coach / Running Backs Coach Buffalo Bills), Matt Patricia (Defensive Coordinator New England Patriots), Mike Shanahan (kein Team)

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Update: Die Miami Dolphins verpflichten Adam Gase von den Chicago Bears als Head Coach. Der 37-Jährige hat einen Fünfjahresvertrag unterschrieben und wird damit der jüngste Head Coach der NFL: